Modellerklärung & Buch-Review: Playing to Win - How Strategy Really Works

A.G. Lafley, Roger L. Martin (2013). Playing to Win. How Strategy Really Works. Harvard Business Review Press. 22,99€
A.G. Lafley, Roger L. Martin (2024). Playing to Win: Wie Strategie wirklich funktioniert. Vahlen. 29,80€

Was ist eigentlich Strategie? Diese Frage wird, meiner Erfahrung nach, überraschend uneindeutig beantwortet. Zum einen unterscheidet sich die Definition massiv zwischen verschiedenen Organisationen, zum anderen haben selbst innerhalb einer einzelnen Organisation unterschiedliche Stakeholder oft eigene Auffassungen. Für den einen bedeutet Strategie Zielsetzung, der nächste versteht darunter das synergetische Zusammenspiel verschiedener Funktionsbereiche, und für wieder andere ist Strategie die Anpassung an veränderliche Marktbedingungen. Da überrascht es kaum, dass nur wenige in unserer Community spontan praktische Beispiele zur Anwendung von Strategie in ihrer Arbeit nennen können.

Zeit also, diese Lücke zu schließen. In Playing to Win – How Strategy Really Works widmen sich der ehemalige Procter & Gamble CEO A.G. Lafley und der serial Business-Buchautor Roger L. Martin genau diesem Thema. Wie sie das tun, ob ihr Ansatz im digitalen Produktmanagement hilfreich ist und ob sich die Lektüre lohnt, erfährst du in den folgenden Absätzen.

Das ‘Playing to Win’-Framework erklärt

“Strategy can seem mystical and mysterious. It isn’t. […] It is a set of choices about winning. […] These choices and the relationship between them, can be understood as a reinforcing cascade.” Die Autoren schlagen vor, fünf klare und aufeinanderfolgende Fragen zu beantworten, um strategische Klarheit zu gewinnen. Diese konkret durchdachte Herangehensweise bricht die in meiner Einleitung geschilderte Unsicherheit über Strategie auf: Beantworte fünf Fragen und du hast die Antwort darauf, was Deine Strategie ist. Da diese Fragen den Kern des Playing to Win-Frameworks bilden und ihre Beantwortung das Resultat einer individuellen Strategie darstellt, stelle ich sie hier im Detail vor.

Winning Aspiration – Warum arbeiten wir hier?

Die erste Frage zielt darauf ab, was das Unternehmen letztlich erreichen will. Dieses Ziel sollte eine strahlende Zukunft beschreiben, die sowohl für KundInnen als auch für MitarbeiterInnen von Wert ist. Eine starke Antwort klingt also weniger nach „Erreichen eines Marktanteils von 70%“ und mehr nach „Leben durch Innovation erleichtern“.

Where to Play – Wo spielen wir – und wo nicht?

Als Nächstes verlangt das Framework eine Entscheidung darüber, wo das Unternehmen tätig sein will. Konkret heißt das: In welcher geografischen Region? Mit welchen Produkten oder Dienstleistungen? Für welche Kundensegmente? Über welche Vertriebskanäle? Wie tief dringt man in Verticals bzw. in die Wertschöpfungskette ein?

How to Win – Wie gewinnen wir?

Der dritte Schritt verlangt eine Antwort auf die Frage, wie sich das Unternehmen im Markt abheben möchte. Es gibt zwei Hauptstrategien: entweder eine starke Differenzierung gegenüber der Konkurrenz oder die Fähigkeit, ein Produkt oder eine Dienstleistung günstiger als die Konkurrenz anzubieten. Bei dieser Kostenführerschaft sollte man sich jedoch fragen, ob man wirklich der günstigste Anbieter sein kann, da nur einer diese Position halten kann. Bleibt die Antwort auf das „Wie“ schwach, sollte man überdenken, ob das Spielfeld richtig gewählt ist und zur vorherigen Frage zurückkehren.

Capabilities – Welche unfairen Vorteile lassen sich nutzen?

Nun wird es spezifisch: Hier geht es darum, die Fähigkeiten und Systeme der Organisation im Detail zu analysieren. Die besten Hebel entstehen dort, wo das eigene Unternehmen etwas kann, das anderen fehlt – und diese Fähigkeit dann für mehrere Bereiche genutzt wird. Wer beispielsweise über die stärkste Brand verfügt, sollte diesen Vorteil nicht nur im Marketing nutzen, sondern diesen auch in der Produktentwicklung berücksichtigen.

Management Systems – Wie sichern wir die Wirksamkeit?

Mit den bisherigen vier Fragen hat man viel erreicht und weiß nun, was zu tun ist. Doch um die Umsetzung zu gewährleisten, muss sichergestellt werden, dass die Organisation so gestaltet ist, dass der Plan auch realisiert wird. Eine einmalige Präsentation zum Geschäftsjahresstart reicht hier nicht. Die Strategie muss in den Alltag integriert werden. Routinen und regelmäßige Messungen, etwa monatliche Check-ups zur Bewertung des Fortschritts und möglicher Anpassungen, sind dafür notwendig.

Was gilt es noch zu beachten?

Während die fünf Fragen Klarheit bringen, führt ihre Beantwortung auch dazu, dass bestimmte Gelegenheiten bewusst nicht verfolgt werden. Wichtig ist, das Modell als iterativen Prozess zu verstehen und regelmäßig zu überarbeiten. Dies stärkt das gemeinsame Verständnis und ermöglicht die Anpassung an neue Umweltbedingungen und Erkenntnisse.

Das Modell ist in großen Organisationen als Kaskade zu verstehen, die sich bis in die unteren Ebenen des Unternehmens fortsetzt. Dabei sollte auf der obersten Ebene begonnen werden, damit die unteren Ebenen ihre Handlungsspielräume kennen.

Meinung: ‘Playing To Win’ – Nur selten hilfreich in digitaler Produktarbeit

Hot Take: Obwohl das ‘Playing to Win’-Framework logisch klingt, kann sie in der digitalen Produktentwicklung mehr schaden als nützen. In der Praxis steht es nämlich zwei zentralen Zielen der digitalen Produktentwicklung entgegen: Geschwindigkeit und sinnvolle Freiheitsgrade für Teams.

Die Umsetzung einer Strategie nach diesem Modell schafft zwar Klarheit, ist aber aufwendig und verlangsamt Entscheidungen. Die ‘Cascade of Choices’, die man auch mit einem Wasserfall der Entscheidungen übersetzen könnte, bringt nämlich genau die Kritikpunkte mit sich, die wir aus der Wasserfall-Softwareentwicklung kennen. Jedes Problem, das in späten Stufen der Kaskade auftritt, muss diese wieder zurücklaufen. Das muss bei einem einmaligen Erarbeiten einer allgemeinen Unternehmensstrategie kein Problem sein, schließlich müssen im Zweifel nur maximal vier Entscheidungen neu getroffen werden. Wenn wir jedoch versuchen das Framework über mehrere organisationale Ebenen – Unternehmen, Abteilungen, Team – ausarbeiten, erreichen wir schnell eine Komplexität, die sinnvolle Anpassungen alleine schon dadurch hemmt, dass die Kommunikation als zu Aufwändig wahrgenommen wird.

In Bezug auf die Freiheitsgrade der Teams, muss hingegen besonders ein Gedanke hervorgehoben werden: Die Grenze zwischen einer klaren Strategie im Sinne dieses Modells und einer langen Feature-Roadmap ist extrem schmal. Eine Führung, die sich im Detail überlegt hat, wie genau die Produkte der Konkurrenz zu schlagen sind, ist nur selten dieselbe, die viel Wert starke Discovery-Arbeit durch selbstverantwortliche Teams legt. Hier reibt sich im Alltag allzu leicht eine Haltung von guter Planung mit der agilen Erkenntnis, dass eben diese Planbarkeit leider möglich ist.

Das Framework ist daher im digitalen Produktmanagement mit Vorsicht zu genießen. Dennoch gibt es Momente, in denen sich die Arbeit mit Lafleys und Martins Modell lohnen kann. Das ist besonders dann der Fall, wenn man sich eine gute Übersicht verschaffen muss, beispielsweise weil man mit der Entwicklung eines Produktes gerade erst beginnt oder wenn man bemerkt, dass wichtige KPIs sich trotz Anstrengungen nicht drehen. Oder aber in Situationen, in denen eine schnelle Anpassung an dynamisches Marktgeschehen keine große Rolle spielt, beispielsweise wenn der Product-Market-Fit eines Produktes schon lange erreicht ist und nun nur doch der Lebenszyklus verlängert werden soll.

In den meisten anderen Fällen lege ich Euch jedoch ans Herz, die volle Kraft eurer Produktteams mit Hilfe einer starken Vision und klaren Zielen zu heben. Ein gewisser Grad an Strategie sollte dabei natürlich eine Rolle spielen, jedoch eher informierend, als in der leitenden Form, in der sie im Framework beschrieben wird.

Das Buch lesen oder reichen Online-Ressourcen?

Von der begrenzten Empfehlung im Hinblick auf digitale Produktentwicklung einmal abgesehen, war das Leseerlebnis ein gemischtes.

Einerseits hat mich die Tiefe, besonders in Form von Hilfestellungen und Werkzeugen zur Beantwortung der fünf Strategie-Fragen beeindruckt. Hier werden deutlich mehr Details und Fallstricke klargestellt, als es in den allgemeiner gehaltenen Online-Ressourcen zum Framework der Fall ist und viele kleinere Sub-Frameworks erleichtern die Anwendung enorm. Wenn man es also ernst mit dem ‘Playing-to-Win’-Modell meint, kommt man um das Lesen nicht herum.

Andererseits entstehen durch ein durchgehendes beispielhaftes referieren auf Fälle aus der Procter & Gamble Historie enorme Längen, die ich gerne vermieden hätte. Gefühlt die Hälfte des Buches besteht aus Duschgel- und Handcreme Beispielen, in denen Entwicklungen von Dekaden auf einen Absatz reduziert wurden, die die allzu passend die genannte Theorie unterstreichen. Das soll wahrscheinlich eine gewisse Erdung herstellen, hat mich persönlich allerdings gar nicht abgeholt: Mit meinem Hintergrund in digitaler Produktentwicklung, haben die Beispiele einfach wenig Relevanz.

So wechseln sich nützliche Tools mit wenig relevanten Beispielen aus dem echten Leben ab. Ich empfehle die Lektüre für zwei Gruppen: Erstens für Leser, die basierend auf Online-Quellen erste Erfolge mit dem Modell erzielt haben und mehr Tiefe wollen, und zweitens für Leser, die sich für die Geschichte von Procter & Gamble oder die Konsumgüterindustrie begeistern. Alle anderen: Startet online und entscheidet dann, wie weit ihr kommt. Eure Zeit ist in der praktischen Strategiearbeit meist besser investiert!

Ihr wünscht Euch Unterstützung in strategischen Fragen?

Ihr baut digitale Produkte und möchtet euch strategisch tiefer aufstellen? Ich bin Jan und ich helfe Euch gerne dabei. Bucht Euch einfach einen unverbindlichen Kennenlern-Termin und wir schauen, ob und wie ich Euch helfen kann.

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